11. August 2021

«Wessen Zukunft? Unsere Zukunft!»

60’000 Jugendliche gingen Mitte März auf die Strasse und protestierten lauthals gegen unsere Passivität im Umgang mit der Klimakrise. Sie fordern den Klimanotstand und eine Reduktion des CO2-Ausstosses in der Schweiz auf Null bis 2030. In der NZZ am Sonntag hat sich am gleichen Wochenende Hans Rentsch, Ökonom, belehrend zur Klimabewegung geäussert. Er wirft der Jugend Naivität und einen eklatanten Informationsmangel vor.

Bisher lief die Klimafront oft klassisch entlang der beiden Fronten links/rechts, Stadt/Land. Neu dazu kommt heute der Graben zwischen einer alten Wirtschaft, die sich den nuklearen und fossilen Interessen verpflichtet fühlt und einer neuen Wirtschaft, die auf innovative und ressourcenschonende Technologien setzt. Neu dazu kommt aber auch der Graben zwischen jung und alt. Die junge Generation ist wütend, weil sie die Misere der Alten ausbaden muss. Teile der älteren Generation schlagen zurück und wettern, die Jungen seien naiv, würden sich instrumentalisieren lassen und wollten eh nur die Schule schwänzen. Was auffällt ist, dass vor allem ältere Männer wie der oben genannte Ökonom mit einer offenen Aggressivität auf diese streikende Jugend reagiert. Man fragt sich: woher kommt diese Wut? Die Wissenschaft jedenfalls hält in dieser Frage zur Jugend.

Kevin Andersson beispielsweise, Englands bekanntester Klimaforscher, der früher Ölplattformen baute, fordert drastische Massnahmen. Die EU müsse ihren CO2-Ausstoss bis 2030 um gute 80% Prozent senken. Die streikenden Schüler fordern 100%, der Klimaforscher 80%. Soweit auseinander liegen diese beiden Positionen also nicht. Tausende US-Ökonomen fordern eine CO2-Steuer, die Kostenwahrheit in die Energiepreise bringt im Wissen, dass dann unsere fossile Energieversorgung langfristig keine Zukunft haben wird. Andersson geht noch einen Schritt weiter und proklamiert eine progressive Energiesteuer: Wer in einem doppelt so grossen Haus lebt, zahlt mehr als die doppelte Steuer. Wer besonders viel fliegt, bezahlt eine überproportionale Flugabgabe. Damit will er verhindern, dass diejenigen, die viel verdienen, sich auch in Zukunft klimaschädigendes Verhalten leisten können.

Neu fordern emeritierte Professoren und andere alte Männer eine Renaissance der Atomkraft, da sie CO2-arm sei. Sie ignorieren, dass Atomkraft heute viel zu teuer ist, Abfälle produziert, die bis heute nicht sicher entsorgt werden können und Risiken mit sich bringt, die sich eine demokratische Gesellschaft nicht leisten darf. Vor allem dann nicht, wenn die neue innovative Wirtschaft schon heute über viel bessere Alternativen verfügt: es gibt keinen günstigeren Strom als erneuerbaren Strom – erst recht, wenn Kostenwahrheit hergestellt ist und die externen Kosten internalisiert werden. Darüberhinaus gilt seit 2017, dass wir dieses Thema demokratisch entschieden haben, weil die Schweizer Bevölkerung mit ihrem Ja zur Energiestrategie 2050 auch den Atomausstieg beschlossen hat. Dass die alten Männer es aber immer wieder versuchen, diese Katastrophen-Technologie ins Spiel zu bringen und Mühe haben, diesen Entscheid zu akzeptieren, erinnert an Kleinkinder, die «zwängeln».

Man wird den Verdacht nicht los, dass es im Klimastreit zwischen jung und alt noch um mehr geht als nur um unsere gemeinsame Zukunft. François Höpfliger, Soziologe, hat dazu einen klaren Standpunkt und beschreibt einen Trend hin zur Gerontokratie. Auch in der Schweiz, weil viele politische Entscheidungen, demografisch bedingt, von Älteren dominiert werden. Vor allem alte, machtorientierte Männer würden oft den Wert ihrer Erfahrungen überschätzen. Sie realisieren, dass sie von Jüngeren überholt werden. Oft würden sie sich dann an ihre Positionen klammern. Niemand verliert gerne an Einfluss. Im Klimastreit geht es deshalb auch darum, wer in Zukunft das Sagen hat. Bis heute hat sich an der Herrschaft der Alten wenig geändert. Jeder fünfte Parlamentarier ist älter als 60-jährig, weniger als eine Handvoll ist unter dreissig. Bei 30 Abstimmungen hat sich die ältere Generation nur einmal nicht durchgesetzt. Gerade in Umweltanliegen laufen die Jungen auf.

Wohl auch deshalb zählen die alten Männer zu den härtesten Kritikern einer protestierenden Jugend und einer zukunftsorientierten Wirtschaft, die den Wandel fordern und die Veränderungen forcieren. In der Klimadebatte hat die Jugend mit der Wissenschaft eine starke Verbündete gefunden. Das ist gut so. Die Klimastreiks sind wichtig, weil sie Bewegung in die eingeschlafene Klimadebatte bringen. Dass sie gleichzeitig auch noch ein Generationenproblem adressieren, ist zu begrüssen. Wir fahren besser, wenn wir in dieser Debatte auf die Jugend und auf die Wissenschaft hören oder wie es der Schriftsteller George Bernhard Shaw (1856 – 1950) formulierte: «Hüte Dich vor alten Männern, denn sie haben nichts mehr zu verlieren.»

Stefan Batzli, Co-Geschäftsführer AEE SUISSE